Deutschland elektrisiert: Ist E-Mobility Mogelpackung oder Heilsbringer?
55 Prozent der Deutschen können es sich grundsätzlich vorstellen, in den nächsten Jahren ein Elektrofahrzeug zu kaufen. Das besagt eine Online-Befragung zu E-Mobility von Statista vom August 2019. Statistiken des Kraftfahrt-Bundesamts bestätigen ebenfalls: Anfänglicher Skepsis weicht allmählich steigendes Interesse an alternativen Antriebsarten. Tatsächlich verzeichnen E-Autos im Jahr 2020 einen enormen Wachstumsschub in ihren Zulassungszahlen und entwickeln sich stetig zu einem festen Bestandteil im deutschen Verkehrssystem. Die Neuzulassungen lagen im letzten Jahr bei einem Rekordwert von 63.000. Ohne Frage bietet E-Mobilität viele Potenziale, doch stellt Nutzer, Politik und Hersteller gleichzeitig vor einige Herausforderungen. Ist der Durchbruch der Elektromobilität nicht mehr weit entfernt oder siegen zuletzt die Zweifel?

Quelle: KBA
Die Geschichte der E-Mobility
Die Geschichte des E-Mobils beginnt bereits im 19. Jahrhundert, als der schottische Erfinder Robert Anderson in Aberdeen das erste Elektrofahrzeug erfand. Der sogenannte Flocken Elektrowagen von 1888, welcher in der Maschinenfabrik A. Flocken in Coburg gefertigt wurde, war die erste bekannte deutsche Elektrokutsche. Seit 1910 verdrängten jedoch andere Konkurrenten die Fahrzeuge nach und nach, sodass sie als Nischenprodukt kaum mehr im Straßenbild zu finden waren.
Erst im Jahr 1990 nahmen Forschungen an neuen Akkutechnologien und Elektroantrieben erneut zu. Grund hierfür war die wachsende Luftverschmutzung in Großstädten. Mit weltweit steigendem Umweltbewusstsein in der Gesellschaft vermehrte sich auch die Nachfrage nach alternativen, nachhaltigeren Antriebsarten. Dieser Nachfrage möchten auch die Hersteller gerecht werden. Auch wenn die Elektromobilität im Vergleich zum Verbrennermotor noch in den Kinderschuhen steckt.
Steigendes Kaufinteresse
Um am Puls der Zeit zu bleiben, gibt es aktuell kaum noch Marken, die kein Elektro-Modell in das Sortiment aufgenommen haben. Der Liebling der Deutschen ist seit einigen Jahren dennoch derselbe: Der Renault Zoe. Der französische Hersteller lieferte den kleinen Stadtflitzer erstmals 2013 aus, welcher sich seither ständig weiterentwickelte. Allein im vergangenen Jahr meldete das Kraftfahrt-Bundesamt rund 9.431 neue Zulassungen des Topschlager-Modells. Kunden wissen vor allem die Reichweite von mittlerweile 395 Kilometern zu schätzen. Laut den Neuzulassungen in 2019 folgen auf Platz zwei und drei die Modelle BMW i3 und Tesla Model 3 als Favoriten der Deutschen. Das Hersteller-Ranking führt in 2020 Volkswagen an, gefolgt von Audi und BMW. Eine McKinsey-Studie ergab sogar, dass Deutschland schon 2021 der größte E-Autohersteller der Welt sein könnte. Demnach soll Europa der Hotspot der Elektromobilität werden.
Fakt ist, das Kaufinteresse nimmt zu. Doch wer ist bereit, alte Gewohnheiten beiseite zu legen und statt Benzin nur noch Strom zu tanken? Tatsächlich sind ökologische Vorteile meist nicht die entscheidende Komponente bei der Kaufentscheidung. E-Autos scheinen aber zunehmend auch als exklusives Statussymbol zu gelten und des Öfteren als Zweitwagen zu fungieren. Das liegt wohl auch an dem noch sehr hohen Kaufpreis der Elektrofahrzeuge auf dem Markt. Bei Analysen fallen immer wieder zwei Käufergruppen ins Auge: Wohlhabende Stadtrand-Familien und gutverdienende urbane Singles. Der Einstieg in E-Mobility ist mit höheren Kosten verbunden als bei konventionellen Neuwagen, was dem E-Auto als Massenprodukt noch im Wege steht. Sollte sich dies in Zukunft ändern, so könnte das Zielgruppenpotenzial weiterhin anwachsen. Nicht zu leugnen sind darüber hinaus einige bestehende Herausforderungen der Elektromobilität.

Quelle: Statista 2020
Hoher Kaufpreis und fehlende Lade-Infrastruktur
Ein Kritikpunkt am E-Auto ist zum einen der hohe Kaufpreis, welcher durch Prämien nicht immer geschmälert werden kann. Modelle mit einer mittleren Reichweite von rund 300 Kilometern kosten meist zwischen 25.000 und 35.000 Euro. Nichts für den schmalen Geldbeutel. Für diesen stattlichen Preis ist vielen Kunden die Reichweite zu gering. E-Mobile können hier nicht mit Verbrennern mithalten und ernten Kritik. Hinzu kommt, dass das Laden umso länger dauert. Wenige Schnellladesäulen mit bis zu 300 kW Ladeleistung gewährleisten zwar kürzere Tankstopps, jedoch kommt das selbstverständlich an keine herkömmlichen Tanksäulen heran. Bis Ende 2020 kündigt das BMVI an, insgesamt 300 Millionen Euro bereitzustellen, um den Ausbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur mit bundesweit 15.000 Ladesäulen zu unterstützen. Es ist fragwürdig, ob diese Ladesäulen ausreichen und welche Zeit die Nachrüstung der Infrastruktur verschlingen wird. Aktuellen Nutzern von Elektrofahrzeugen wird das jedenfalls nicht viel helfen. Denn bei der Batterie-Technologie und dem Stationsnetz ist noch viel Luft nach oben. Derzeit gibt es rund 20.800 E-Ladesäulen in Deutschland.
Zudem häufen sich Gegenstimmen von Seiten der Umweltschützer. Das Elektroauto als „Klima-Retter“ steht am Pranger, da die Zusammensetzung der Batterien alles andere als vorteilhaft für den Planeten ist. In diesen ist Lithium enthalten, dessen Abbau ohnehin als umweltschädlich gilt. Ebenso sind die Arbeitsbedingungen teils menschenunwürdig. Kobalt, das in den Batterien enthalten ist, wird beispielsweise im Kongo unter katastrophalen Bedingungen abgebaut. Auch die nicht so unwichtige Frage der Entsorgung der Fahrzeuge inklusive Batterie ist ungeklärt und wird noch für einige rauchende Köpfe sorgen.
Weniger CO2 und finanzielle Vergünstigungen
Positiv hervorzuheben ist allerdings, dass lokal und dort, wo der Wagen fährt, kein Ausstoß von CO2 stattfindet. Elektromotoren benötigen schließlich kein Erdöl in Form von Benzin oder Diesel. Dennoch gilt: Ein E-Auto ist nur so sauber wie der Strom, den es „tankt“. Verbraucher müssen hier auf klimaneutralen Strom achten, wenn sie mit reinem Gewissen laden und fahren möchten. So teuer ein Elektro-Mobil auch sein kann, so viel günstiger sind im Gegensatz dazu die Unterhaltskosten. Hier fällt kein Ölwechsel an und auch der Bremsenverschleiß ist durch das Rekuperieren der E-Maschine geringer. Das überzeugt gerade die, die gerne auf Werkstatt-Besuche verzichten möchten. Zudem warten weitere finanzielle Vergünstigungen auf zukünftige E-Auto-Besitzer. Denn bis 2030 sind sie von der Kfz-Steuer befreit und genießen Zuschüsse von Staat und Industrie. Bis zu 9.000 Euro netto sind hier drin.
Die Zweifel am Elektroauto sind noch weit verbreitet und der Mobilitätswende stehen nicht alle gleichermaßen positiv gegenüber. Doch gut Ding will Weile haben. Bis sich die E-Mobility vollständig etabliert, wird es wohl noch einige Verbesserungen sowie Forschung und Entwicklung benötigen. Wie es eben auch beim Diesel der Fall war und ist. Für wen lohnt sich das E-Auto also wirklich? Ganzheitlich betrachtet sind die aktuellen Elektrofahrzeuge noch ausbaufähig – Für Kurzstreckenfahrer und Städter bietet sie jedoch einschlägige Vorteile, gerade auch im Hinblick auf das Konzept des Carsharings in Metropolen. Vielfahrern stellen sich die Reichweite und die Lademöglichkeiten noch in den Weg und halten davon ab, Elektromobilität eine Chance zu geben. E-Mobility: Mogelpackung oder Heilbringer? Diese Frage lässt sich schwer innerhalb von ein paar Jahren beantworten und ist noch längst nicht zu Ende diskutiert. Eine technikoffene Betrachtung ist aber zumindest der richtige Weg.
Der Artikel ist im Mobil in Deutschland-Magazin Ausgabe Winter 2020 erschienen.