Blitzerland Deutschland: Der Blitzatlas 2017
Wir alle kennen die Situation wohl nur zu gut: Einmal nicht aufgepasst, ein kleines bisschen zu sehr aufs Gaspedal gedrückt, die Geschwindigkeitsbegrenzung nur leicht überschritten und die Radarfalle schlägt zu. Sehr ärgerlich, vor allem dann, wenn ein paar Tage später der Bußgeldbescheid ins Haus flattert. Das kann tatsächlich jedem und überall passieren – auf Autobahnen, Landstraßen oder eben in der Stadt. Doch dienen diese Radarkontrollen wirklich nur der Verkehrssicherheit, wie die Polizei immer behauptet, oder steckt eiskaltes Kalkül dahinter? Immerhin ist Blitzen auch eine wunderbare Einnahmequelle für Kommunen, Städte und Länder.
Der Automobilclub Mobil in Deutschland e.V. stellt seit vielen Jahren Art, Umfang und Örtlichkeit von mobilen Radarkontrollen in Frage. Nicht zuletzt durch die Ergebnisse des regelmäßig erscheinenden Blitzatlas. Dieser ist von vielen heiß begehrt, von einigen aber auch gefürchtet. Jetzt ist er nach 5 Jahren wieder da: Der Blitzatlas 2017 für München, Berlin und erstmals auch für Hamburg und Köln.
Vom 1. Januar bis 17. Oktober 2017 wurden mit Hilfe der Blitzer-Community Blitzer.de sämtliche Blitzer-Meldungen in Berlin, München, Hamburg und Köln erfasst und anschließend ausgewertet. Insgesamt wurden dadurch 56.326 Blitzer registriert.
23.269 Blitzer wurden in dem erfassten Zeitraum für Berlin notiert, 3.491 Blitzer für München, 7.160 für Köln und 10.832 Blitzer für Hamburg. Hochgerechnet auf ein gesamtes Jahr kommt man zu folgenden Ergebnissen:
In Berlin wird durchschnittlich
pro Tag 80 Mal,
pro Woche 563 Mal,
pro Monat 2.441 Mal und
29.287 Mal pro Jahr geblitzt.
In München wird durchschnittlich
pro Tag 12 Mal,
pro Woche 85 Mal,
pro Monat 366 Mal und
4.394 Mal pro Jahr geblitzt.
In Köln wird durchschnittlich
pro Tag 25 Mal,
pro Woche 173 Mal,
pro Monat 751 Mal und
9.011 Mal pro Jahr geblitzt.
In Hamburg wird durchschnittlich
pro Tag 37 Mal,
pro Woche 262 Mal,
pro Monat 1.136 Mal und
13.634 Mal pro Jahr geblitzt.
Auswertung:
Wo werden Radarfallen in Deutschland installiert? Tatsächlich dort, wo nachweislich vermehrt Unfälle passieren und verhindert werden können, oder eher auf Straßen, die möglichst viele Autofahrer in die Radarfalle locken, um die klammen Kassen zu füllen? Zu diesem Zweck wurden jeweils die Top 10 der Blitzerstraßen mit der Top 10 der Unfallstraßen in den vier Städten gegenübergestellt und ausgewertet. Die Unfallstraßen wurden uns offiziell von der jeweiligen Polizeibehörde für das Jahr 2016 mitgeteilt. Nur die Polizei Hamburg hat uns diese Daten aus grundsätzlichen Erwägungen leider nicht zur Verfügung gestellt.
Top-Blitzmeilen & Top-Unfallstraßen für München
In München wird am meisten auf der Dachauer Straße geblitzt. Hochgerechnet auf das Jahr schnappt hier 146 Mal die Radarfalle zu. Tatsächlich ist die Dachauer Straße auch beim Ranking der Unfallstraßen auf Platz 2 zu finden. Auch die Leopoldstraße, die Tegernseer Landstraße, Landsberger Straße, Landshuter Allee und die Rosenheimer Straße, alle in den Top 10 der Blitzstraßen, sind gleichzeitig unfallträchtige Straßen mit insgesamt mehr als 2.300 Verkehrsunfällen im Jahr 2016. Hier scheint man also in der Tat Geschwindigkeitskontrollen zur Sicherheit der Verkehrsteilnehmer durchzuführen. Nichtsdestotrotz hat München mit sogenannten stationären Geisterblitzern in Tunnels oder „Superblitzern“ an Kreuzungen massiv aufgerüstet. Hier blitzt es dann, ohne dass der Autofahrer es bemerkt. Wo hier der Lerneffekt einsetzen soll, sei jetzt so dahingestellt. Ebenso gibt es in München mittlerweile die Blitzmeile Nr. 1 in Deutschland: Der Mittlere Ring ist mittlerweile mit 60 stationären Blitzer auf 28 km Strecke ausgerüstet.
Fazit: Die Zahl der Radarkontrollen mit mobilen Messgeräten ist in den vergangenen Jahren in München nachweislich gesunken. Und auch die Standortwahl von Radarkontrollen wurde verbessert. Es wird tatsächlich wieder mehr im Sinne der Verkehrssicherheit geblitzt. Zumindest mobil. Die Aufrüstung von stationären Blitzern lässt hingegen einen Zweifel aufkommen, dass es hier nicht ausschließlich um Sicherheit geht, sondern vielleicht auch um wirtschaftliche Interessen. Dennoch, Daumen hoch für München in diesem Jahr! München bekommt die Note 2 (GUT).
Top-Blitzmeilen & Top-Unfallstraßen für Berlin
Ganz anders die Situation in Berlin: In Deutschlands Hauptstadt wird am meisten in der Heerstraße geblitzt. Hochgerechnet aufs Jahr zählt man dort mehr als 630 Blitzer. Die Straße zählt aber nicht zu den Top 10 Unfallstraßen. Der Müggelseedamm auf Platz 2 der Blitzstraßen mit 583 Blitzern pro Jahr taucht hier auch nicht auf. Unfallstraße Nr. 1 ist hingegen der Tempelhofer Damm. Hier passiert sehr viel, aber es wird wenig bis gar nicht geblitzt. Eine einzige Überschneidung in Berlin konnten wir aber doch noch ausmachen: Die Landsberger Allee auf Platz 3 der Blitzstraßen mit 461 Blitzern findet man auch auf Platz 6 der Unfallstraßen wieder. Immerhin!
Fazit: Ein trauriges Ergebnis für die Hauptstadt: Eine einzige Überschneidung zwischen Top-Blitzstraßen und Top-Unfallstraßen. Das lässt eindeutig zu dem Schluss kommen, dass Berlin vor allem wirtschaftliche Interessen bei Radarkontrollen verfolgt. Von Blitzen nur zur Sicherheit kann hier nicht die Rede sein. Berlin bekommt die Note 5 (MANGELHAFT).
Top-Blitzmeilen & Top-Unfallstraßen für Köln
Köln kann beinahe mit München mithalten. Hier gibt es insgesamt 5 Übereinstimmungen zwischen den Top 10 der Blitzstraßen und Unfallstraßen. Am häufigsten, nämlich 678 Mal, wird dabei auf der Militärringstraße geblitzt. Bei den Unfallstraßen findet man die Militärringstraße auf Platz 9. Übereinstimmend sind ebenso die Aachener und die Frankfurter Straße, die sowohl bei den Unfall- als auch bei den Blitzstraßen auf Platz 2 und 3 stehen. Auch die Innere Kanalstraße und die Bergisch Gladbacher Straße sind in beiden Top 10-Rankings zu finden. Lediglich die Venloer Straße als Hauptunfallstraße mit 154 Verkehrsunfällen im Jahr ist bei den Top-Blitzstraßen nicht zu finden.
Fazit: Blitzen zur Förderung der Verkehrssicherheit hat man sich auch in Köln auf die Fahne geschrieben. Zumindest bei den mobilen Radarkontrollen. Dennoch besteht auch hier im Hinblick auf die Hauptunfallstraße noch ein wenig Verbesserungsbedarf. Köln bekommt daher Note 3+ (BEFRIEDIGEND).
Top-Blitzmeilen & Top-Unfallstraßen für Hamburg
In Hamburg blitzt es zumeist in der Cuxhavener Straße mit 316 Blitzern pro Jahr und der Bergedorfer Straße mit insgesamt 254 Blitzern im Jahr. Auch die Kieler Straße auf Platz 3 und die Bramfelder Chaussee auf Platz 4 werden jeweils mehr als 200 Mal im Jahr für Radarkontrollen genutzt. Leider hat die Polizei Hamburg uns die Daten der Hauptunfallstraßen nicht zur Verfügung gestellt. Aus „grundsätzlichen Erwägungen“ wie es offiziell heißt aus Polizeipressestelle Hamburg. Nur welche Kriterien werden in der norddeutschen Metropole für die Standortwahl von Radarkontrollen tatsächlich herangezogen? Vielleicht Russisch Roulette? Oder blitzt man dort, wo die meisten Autos fahren? Oder vielleicht auf Zuruf der Anwohner? Schade, Hamburg.
Fazit: Leider lassen sich für Hamburg keine Rückschlüsse auf die Grundsätze der Blitzermethodik ziehen. Zwar blitzt es in Hamburg an allen Ecken und Enden blitzt, aber ob das ausschließlich an Unfallschwerpunkten geschieht, ist sehr zweifelhaft. Weil es kein System gibt, sondern offenbar nur wirtschaftlichen Interessen, bekommt Hamburg daher die Note 6 (UNGENÜGEND).
Gesamtfazit für Deutschland:
Über 56.000 mobile Blitzer pro Jahr in vier deutschen Städten, das ist schon eine Hausnummer. Insgesamt decken die Städte damit etwa 8 Mio. Einwohner ab, was auf Deutschland bezogen einem Bevölkerungsanteil von 10 Prozent entspricht. Damit kann man für Deutschland von rund einer ½ Million mobilen Blitzern ausgehen. Wir nehmen weiter an, dass ein Blitzer pro Standort ungefähr 20-25 Autofahrer erfasst und im Schnitt ein Bußgeld von 50 EUR fällig wird. Da es neben mobilen auch festinstallierte Radarfallen gibt, die im Gegensatz zu mobilen Blitzern eine hohe Lernkurve bei Autofahrern aufweisen, kommt man zu dem Schluss, dass den Autofahrern durch Radarkontrollen in Deutschland rund 1 Milliarde Euro zusätzlich zu den bisherigen Belastungen zugemutet wird. Pro Jahr! Und in erster Linie auf Straßen, in denen es nachweislich nicht um Sicherheit geht.
Fakt ist: In der Straßenverkehrsordnung §3 (2a) heißt es: „Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.“ Autofahrer sollen also besonders auf die „Schwächeren“ der Gesellschaft Rücksicht nehmen und daran hat sich auch die Polizei zu orientieren. Wir sehen die Straßenverkehrsordnung nicht nur als einen Appell, sondern eben auch als Grundlage für derartige Kontrollen. Radarkontrollen gehören vor Kindergärten, vor Schulen, Krankenhäuser und Altenheime. Und überall dort, wo viel passiert und wo es gefährlich ist. Ohne Ausnahmen und ausschließlich.
Das ist aber nicht Realität. Deutschland ist und bleibt also ein Blitzerland. Auch wenn wir in unserem Blitzatlas durchaus positive und erfreuliche Überschneidungen zwischen Häufigkeit von Blitzern und Anzahl der Verkehrsunfälle ausmachen konnten, dienen Radarkontrollen eben immer noch untergeordnet der Sicherheit von Verkehrsteilnehmer. Am Beispiel Berlin wird das besonders deutlich: Es geht hier um sehr viel Geld und Zusatzeinnahmen für den Haushalt der oft nahezu bankrotten Städte.
Downloads:
» Presseerklärung Blitzatlas 2017
» Foto Radarkontrolle 1 (Quelle: Mobil in Deutschland e.V.)
» Foto Radarkontrolle 2 (Quelle: Mobil in Deutschland e.V.)