Rote Karte für Handyverbot!
„Kein Anschluss unter dieser Nummer. Ihr Gesprächspartner sitzt gerade in der Münchner Tram.” Wird es nach der Entscheidung des WM-Organisationskommitee für München als Medienzentrum eine Aufhebung des Handyverbots in Tram, Bahn und Bus geben?
Die Entscheidung ist auf München gefallen: Während der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2006 soll die Medienzentrale in der bayrischen Landeshauptstadt errichtet werden. Etwa 20.000 Journalisten aus aller Welt werden dann zur Sportberichterstattung in München erwartet, sich aber gleichzeitig mit einem großen Hindernis konfrontiert sehen: dem Handyverbot in den Münchner Nahverkehrsmitteln.
Dann könnte sich im Jahr 2006 folgendes Szenario abspielen: „Schiedsrichter Luigi M. war gedopt. Deutschland nun doch im WM-Halbfinale gegen Jamaica.” Diese Schlagzeile ziert alle Medien rund um den Planet. Fasst alle. Denn einem der zahlreichen Journalisten in München ist die Entscheidung des Internationalen Dopingverbandes entgangen. Seine Name: Jiang Tsiao. Von Beruf: Fußballreporter des Korean Sport Journal. Sein momentaner Aufenthaltsort: Ein Sitzplatz im Linienbus 391 in Richtung Harlaching. Während die ersten Münchner sich auf der Leopoldstrasse einfinden, um den deutschen Erfolg ausgelassen zu feiern, ist Herr Tsiao unterwegs und hat keine Ahnung, dass er seinen Bericht völlig umformulieren müsste. Er hat den alles entscheidenden Anruf eines Kollegen verpasst. Der Grund: Herr Tsiao hat folgsam das Handy ausgeschaltet, als er im Bus das Verbotsschild erblickte. Das kommunikationsfeindliche Handyverbot des MVV hat demnach verhindert, dass das Korean Sport Journal einen aktualisierten Artikel über das WM-Halbfinale am nächsten Tag abdrucken kann.
Zugegeben das gerade beschriebene Szenario ist etwas überspitzt, doch genauso an den Haaren herbeigezogen erscheint das Handyverbot des MVV in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wird sich mit der WM 2006 in der Münchner Tram, Bus und U-Bahn etwas ändern? Gibt es doch noch Hoffnungen, dass die Medienstadt München ein Herz für moderne Kommunikationsmittel zeigt?
Bis Redaktionsschluss blieb der SWM-Geschäftsführer Herr König jedoch unerbittlich bei einer Stellungnahme, die er vor einem Jahr während einer Presseerklärung gegeben hat und die anscheinend keiner Revision bedarf. Drei Gründe listet er darin für das Handyverbot auf: Er beruft sich auf die Sicherheit der Fahrgäste und das Interesse seiner Kunden, die sich durch das Telefonieren von Sitznachbarn gestört fühlen könnten. Und weist auch noch auf die Vermeidung wirtschaftlicher Risiken hin, die einen Ausschluss von Haftungsverpflichtungen der Fahrzeughersteller zur Folge haben könnten. Demzufolge legt er folgende Entscheidung vor: „Wir nehmen unsere Sicherheitsverantwortung wie auch die Kundenorientierung ernst. Aus beiden Gründen (…), beim Bus zusätzlich auch wegen der Produkthaftung der Hersteller, halten wir bis auf weiteres daran fest, die Handy-Benutzung in Bus und Tram auszuschließen und in der U-Bahn nicht durch technische Einrichtungen zu ermöglichen.” Eine harte Antwort, an der es scheinbar nichts zu rütteln gibt und die nach Ansicht der Pressesprecherin von D2 Vodaphone, Frau Satzer-Spree, mit den Ängsten der Leute spielt. „Das Argument mit dem Gesundheitsrisiko ist reine Panikmache. Ich kann nur immer wiederholen, dass die elektromagnetischen Strahlen, die beim Mobiltelefonieren in geschlossenen Zugabteilen auftreten, niemanden gesundheitlich schädigen. Die Messwerte bewegen sich innerhalb bestehender Grenzwerte.”
Wenn also ein Gesundheitsrisiko ausgeschlossen werden kann, steht vor allem die Frage nach der Akzeptanz der Münchner im Vordergrund. Eine MiM-Umfrage aus dem Jahr 2000, bei der 1512 MVV-Nutzer befragt wurden, hat jedoch ergeben, dass die Münchner gar nicht so technikfeindlich sind, wie der MVV sie immer darstellt. In der Umfrage plädierten 66 Prozent der Befragten dafür, technische Voraussetzungen für die Handy-Benutzung in U-Bahnhöfen zu schaffen. Nur 17 Prozent lehnen dies völlig ab. Des weiteren fand Mobil in München mit seiner Fahrgastbefragung in Bus, Tram und U-Bahn heraus, dass genau die Hälfte der befragten Fahrgäste möglichst immer erreichbar sein wollen. Und von den eher handydistanzierte Personen können sich 82 Prozent vorstellen, dass die persönliche Erreichbarkeit für andere Menschen wichtig sein könnte. Wenn man beachtet, dass jetzt – eineinhalb Jahre nach der Umfrage – bereits 55 Millionen Handynutzer bundesweit zu zählen sind, kann man davon ausgehen, dass auch die Akzeptanzwerte dementsprechend angestiegen sind.
Wolfgang T., ein rüstiger Rentner und mittlerweile Handybesitzer, macht deutlich, wie aufgeschlossen man als Münchner bezüglich Handys eingestellt sein kann: „Ich muss ja nicht unbedingt mit meinem Kegelfreund am Handy in der Tram ratschen, wenn sich mein Nachbar dabei gestört fühlt. Aber es passiert immer mal wieder, dass meiner Frau noch eine Besorgung eingefallen ist und dafür ist die schnelle Erreichbarkeit per Handy doch ideal, bevor ich dann zuhause angekommen, mich noch einmal in Richtung Supermarkt auf den Weg machen darf.” Einen wichtigen Anruf erwartete auch Susanne E. und erregte dabei das öffentliche Ärgernis: „Den ganzen Tag hatte ich auf diesen Anruf gewartet und genau als ich in Richtung Sendlinger Tor in der Straßenbahn stand, klingelte dann mein Handy. Als ich gerade heimlich ‚Ich kann gerade nicht telefonieren. Ich melde mich später wieder…‘ in mein Handy nuscheln wollte, schallte doch tatsächlich die Ansage des Bahnführers durch den Wagon: ‚Wenn die Dame das Handy ausschalten könnte, könnten wir die Fahrt ungestört fortsetzen.‘ Da nutzte ich den Zwischenstop und bin vorzeitig aus der Tram gesprungen. Ich habe mich gefühlt wie ein Schwerverbrecher.” Bernhard E. wurde noch nicht aus der Straßenbahn geworfen, meidet aber als Arzt während des Bereitschaftsdienst Bus, Tram und U-Bahn. „Immer, wenn ich erreichbar sein muss, kann ich keine öffentlichen Verkehrsmittel nehmen. Das ist wirklich ein Dilemma, das man endlich mal revidieren sollte.” Beim Gespräch mit Münchnern werden also immer mehr Stimmen laut, die bei einem rücksichtsvollen Umgang der Handybesitzer keine Einwende gegen das Mobiltelefonieren in öffentlichen Nahverkehrsmitteln haben. Denn schließlich sollen die 20.000 Journalisten im Jahr 2006 von der Modernität des heutigen Bayerns begeistert werden und nicht von deren unnachgiebiger Technik- und Kommunikationsfeindlichkeit überrascht.
Lou Bega, Sänger: Natürlich muss ich in meinem Business jederzeit, also auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln in München, erreichbar sein. Damit sich die Leute, die nicht auf das Handy angewiesen sind, nicht belästigt fühlen, schlage ich vor nach dem Modell Raucher/Nichtraucher ein Abteil am Ende des Zuges für den Mobilfunk freizugeben und die restlichen Abteile als handyfreie Zone zu belassen. Dann könnte jedem geholfen sein. | |
Cosima von Borsody, Schauspielerin und Exfrau von Sky Dumont: Ich bin beruflich und privat auf mein Handy angewiesen. Deshalb befürworte ich natürlich sehr, dass das Telefonieren in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht nur erlaubt ist, sondern technisch auch reibungslos funktioniert. Die Handybenutzer müssten aufgefordert werden den Gebrauch des Handys in puncto Sprechverhalten und Klingellautstärke in öffentlichen Bereichen anzupassen. | |
Leonore Capell, Darstellerin im Marienhof als Geschäftsfrau Andrea Süsskind: Das ständige Klingeln in verschiedensten Melodien und Piepsern kann extrem störend sein. Andererseits: Der Sinn des Handys ist nun mal, überall erreichbar zu sein und ein Gespräch mit Handy stört genauso wenig wie ein Gespräch mit den Sitznachbarn. | |
Jürgen Fliege, Talkmaster: Handy sind IN, denn Handy sind neu. Jede neue Mode schwappt über, versandet aber auch irgendwann. Ich bin gegen Verbote, weil ich ans Versanden glaube. Jeder wird lernen, dass das Handy, das er besitzt nicht dem Anrufer gehört, sondern dem der angerufen wird und der wird die Fähigkeit entwickeln, es auszuschalten. | |
Petra Perle, Münchner Multitalent: Eigentlich ist es für mich eine Horrorvorstellung auch noch außerhalb der Wohnung erreichbar zu sein. Andererseits finde ich es lustig, Münchner Mitmenschen in Tram und Bus bei ihren wichtigen Gesprächen zu beobachten. Das ist immer sehr unterhaltsam und inspiriert mich zu Sketchen und Possen. | |
Barry Werkmeister, Moderator: Leider ist München im Vergleich zu anderen Großstädten intolerant, speziell bei der Handynutzung im öffentlichen Nahverkehr. Ich bin für ein klares JA zur Benutzung in Tram, Bus. Mit einer Einschränkung könnten Befürworter und Gegner leben: Handy JA, Klingelton NEIN. Ich bin für Toleranz für Kommunikation! |